Bindungsanalyse – die Nabelschnur der Seele
erade komme ich aus einer Bindungsanalyse-Stunde mit einer werdenden Mama. Sie ist in der 30. Schwangerschaftswoche. Ich habe noch ihre Worte am Schluss der Sitzung im Ohr: „Schön, so schön! Ich genieß‘ das immer so, mit der Kleinen in Kontakt zu sein.“ Anja (Name wurde geändert) kommt sein 14 Wochen für Bindungsanalyse-Sitzungen zu mir. Begonnen hat alles mit ihrem Wunsch, ihre Angst loszuwerden und eine Beziehung zu ihrem Baby aufzubauen. Letztes Jahr hatte sie eine Fehlgeburt und die Erinnerung an die Geburt und den Verlust ihres gar nicht mehr so kleinen Jungen ist noch sehr präsent. Sie traute sich nicht wirklich mit dem kleinen Mädchen, das jetzt in ihr wächst, Kontakt aufzunehmen. Was wenn es dieses Mal wieder nicht bleibt?
Das Ich im Spiegel der Seele
Während du dich vielleicht gerade auf die spannende Reise der Mutterschaft vorbereitest oder schon ein kleines Wunder in dir wachsen spürst, hast du sicherlich schon viel über die Bedeutung einer gesunden Ernährung, ausreichend Ruhe und die körperliche Vorbereitung auf die Geburt gehört. Aber hast du auch schon über die emotionale und psychische Verbindung zu deinem ungeborenen Kind nachgedacht?
Hier kommt die Bindungsanalyse ins Spiel, eine faszinierende Möglichkeit, diese einzigartige Zeit während der Schwangerschaft schon zu nützen, um diese Beziehung gezielt aufzubauen und zu stärken.
So wie Anja geht es vielen Müttern, die ein Kind verloren haben oder aber auch „nur“ lange darauf gewartet haben, dass es endlich mit dem Schwanger werden klappt. „Bloß nicht zu früh freuen“ höre ich dann oft in den Gesprächen.
Aber was ist „zu früh“, wann ist der richtige Moment fürs Freuen und den Beziehungsaufbau zum/zur Bauchbewohner*in gekommen und wie kann die Bindungsanalyse (auch vorgeburtliche Beziehungsförderung genannt) dabei helfen?
Was ist Bindungsanalyse?
Entwickelt von den ungarischen Psychoanalytikern Jenö Raffai und György Hidas, zielt die Bindungsanalyse darauf ab, Mama und Baby ganz bewusst in Beziehung zu bringen. Dadurch hat das Baby schon währen der Schwangerschaft die Möglichkeit, sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen. Dieses Bewusstsein über seine eigene Identität ist sowohl für die Geburt als auch für die Entwicklung des Kindes danach extrem wichtig. Die Frau kann während dieser Stunden in ihre Rolle als Mutter hineinwachsen, wieder lernen den Empfindungen ihres Körpers zu vertrauen und ihre eigene Bindungsmuster reflektieren und daran reifen.
„Am Anfang hat das für mich ein bisschen esoterisch geklungen, weil ich mir den Kontakt zum Baby nicht vorstellen hab können. Jetzt merke ich einen so großen Unterschied zu anderen Schwangeren im Freundeskreis. Während meine Freundinnen „ein Baby“ im Bauch haben, zu dem sie sprechen, habe ich einen Dialog mit unserer Kleinen und nehme auch schon Facetten ihrer Persönlichkeit wahr.“
Wie Anja es beschreibt, geht es vielen Mamis mit ihren Erfahrungen aus den „Baby-Stunden“. Das Gefühl, schon erste Persönlichkeitszüge des Babys kennen zu lernen macht aus dem abstrakten Wissen über einen heranwachsenden Embryo eine reale Person. Für eine reale Person, zu der man eine Beziehung hat, ist es leichter gut auf sich zu schauen, den Stress zu reduzieren oder auch andere Schritte zu setzen, die in der Schwangerschaft und als Vorbereitung aufs Elternsein sinnvoll sind.
In den Baby-Stunden kommt dein Baby zu Wort 🙂
„Seit ich mich drauf eingelassen habe, kann ich sie viel besser wahrnehmen. Sie gibt mir sehr eindeutig zu verstehen, wenn sie mehr Ruhe braucht und ich trau mich jetzt wieder, meinem Körper zu vertrauen.“
Ablauf einer vorgeburtlichen Beziehungsförderung nach Raffai
Anja ist gerade in der Phase der sogenannten „Baby-Stunden“. Sie sind das Herzstück der bindungsanalytischen Begleitung. In diesen Einheiten geht es darum, dass sich die Frau im Liegen ganz auf den Kontakt mit ihrem Körper und dem Baby einlässt und wahrnimmt, was dabei für Empfindungen entstehen. Dabei ist die Art und Weise, wie die Kommunikation mit dem Baby stattfindet, von Frau zu Frau unterschiedlich. Während manche Mütter eine Art Dialog im Kopf haben, nehmen andere wieder eher Körperempfindungen war. Bei Anja sind es Bilder, die vor ihrem inneren Auge entstehen und sowohl von ihr als auch dem Baby gestaltet werden können.
Diesen Babystunden geht eine ausführliche Anamnese voraus, in denen sich Mutter und Bindungsanalytikerin kennen lernen. Diese biographischen Gespräche sind so wichtig, um später in den Babystunden erkennen zu können ob das Erlebte mit dem Baby eventuell die Aufarbeitung eigener Themen oder unbewusster Anteile sein könnte. Obwohl die Bindungsanalyse keine therapeutische Technik ist, hilft sie den Frauen doch oft, eigene Erfahrungen in einem neuen Licht wahrzunehmen und für sich zu integrieren.
Den Abschluss der Begleitung bildet die intensive Phase der „Abschluss-Stunden“. Sie dienen Mutter und Baby dazu, sich schon auf die Trennung, die bei der Geburt passiert, vorzubereiten, die Schwangerschaft Revue passieren zu lassen und den Übergang gemeinsam so sanft wie möglich zu gestalten.
„Es tut mir so gut zu spüren, dass es ihr gut geht. Durch diese Sitzungen habe ich jetzt wieder Vertrauen in meinen Körper und traue mich, mich auch emotional auf die Schwangerschaft einzulassen.“
Wann starten?
Anja war super früh dran mit ihrer Kontaktaufnahme. Durch ihre Vorgeschichte war ihr klar, dass sie sich für ihre jetzige Schwangerschaft Begleitung wünscht. Der beste Zeitpunkt, um mit den wöchentlichen Sitzungen der Bindungsanalyse zu beginnen, ist so früh wie möglich, am liebsten schon vor der 20. Schwangerschaftswoche.
Natürlich ist auch ein späterer Einstieg möglich und immer sinnvoll.
Vorteile der Bindungsanalyse
Neben den subjektiv empfundenen positiven Aspekten der Bindungsanalyse gibt es mittlerweile auch schon mehrere Studien, die die Vorteile der bindungsanalytischen Begleitung bestätigen. Diese belegen zum Beispiel, dass es zu weniger Frühgeburten und Kaiserschnitten kommt, wenn die Frauen mit dieser Methode begleitet wurden. Darüber hinaus kommt es sogar zu kürzeren, angst- und schmerzfreieren Geburten und das Risiko für eine postpartale Depression ist nahezu null.
Für wen ist die Bindungsanalyse das Richtige?
Häufig kommen Frauen zu mir, die schon ein Baby verloren haben, einen holprigen Weg zur Schwangerschaft hatten oder eine traumatische Geburt hinter sich haben. Obwohl die Bindungsanalyse in solchen Fällen besonders hilfreich ist, ist sie für alle Mütter sinnvoll und empfehlenswert. Gerade wenn schon ein Kind da ist, das umsorgt werden will, sind die Baby-Stunden im Alltag oft die einzige Zeit, um sich bewusst um den Beziehungsaufbau mit dem zweiten Kind zu kümmern.
Zusammenfassung
Mittlerweile wissen wir, dass Babys im Mutterleib von Anfang an wahrnehmungsfähig und empfindungsfähig sind. Die Erfahrungen, die sie während der Schwangerschaft und Geburt machen, prägen sie und hinterlassen sowohl physisch als auch emotionale Spuren.
Bindungsanalyse ist eine noch recht neue, aber dennoch wissenschaftlich fundierte Methode. Sie begleitet Frauen während der Schwangerschaft dabei, ganz bewusst und gezielt mit ihrem Baby Kontakt aufzunehmen und eine Beziehung aufzubauen.
Bist du neugierig geworden?
Solltest du Lust bekommen haben auch dein Baby zu Wort kommen zu lassen und eure Beziehung zu stärken, schreib mir gerne ein Mail und wir vereinbaren ein erstes Kennenlerngespräch.
Quellen:
www.bindungsanalyse.at
György Hidas, Jenö Raffai (2006). Die Nabelschnur der Seele
Christa Balkenhol und Christine Karrasch (2017). Mit deiner Liebe wächst meine Seele
Schreibe einen Kommentar